Bücher waren immer Wegbegleiter, Ausdruck einer Leidenschaft und vielfältigster Sammelinteressen, geprägt von politischen und kulturellen Kontexten, still aufbewahrt im Privaten oder zur Schau gestellte Statussymbole.
Sammlungen wurden mit Hingabe und Fachkenntnis angelegt, über Generationen vererbt, fielen Kriegen, gesellschaftlichen Umbrüchen und Moden zum Opfer. Bücher haben Menschen in allen Lebenslagen begleitet. 

Wer waren die Menschen hinter den Büchern? Welche Spuren haben Sammler, Gelehrte, berühmte Bibliophile, oder auch einfache Bürger in ihren Büchern hinterlassen? Welchen Weg hat ein Buch in seinem Leben durch viele Epochen genommen? 

Widmungen, Notizen, Anmerkungen, Wappen, Exlibris und Einbände erzählen die Geschichte ihrer Besitzer. Oft offenbart erst die Provenienz eines Einzelstücks seinen wahren Sammlerwert. 

In Zusammenarbeit mit der Württembergischen Landesbibliothek präsentiert die Antiquariatsmesse Stuttgart vom 26. bis 28. Januar 2024 im Württembergischen Kunstverein die Sonderausstellung “Bücherleben - Bücher erzählen ihre Geschichte”. Ausgewählte Exponate zeigen anschaulich die Beziehungen zwischen Ideen, Büchern, Besitzern oder Lesern über Zeiten und Räume hinweg. Bücher leben!

 

Begleitend zur Ausstellung laden wir Dr. Christian Herrmann, Kurator der Ausstellung und Leiter der Abteilung Sondersammlungen der Württembergischen Landesbibliothek, zu einem Gespräch auf dem „Roten Sofa“ (Alle Veranstaltungen des Veranstaltungsprogramms "Das Rote Sofa" >> HIER)

Samstag, den 27. Januar 2024, 14 Uhr
Bücherleben – Bücher leben!

Dr. Christian Herrmann (Abteilung Sondersammlungen der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart)
Moderation: Elvira Tasbach (Antiquariat Elvira Tasbach)

Welche Geschichten verbergen sich hinter einigen für die Ausstellung ausgewählten Exponaten? Welche „Buchbiografien“ haben besonders berührt? Warum ist Provenienzrecherche, die Suche nach den Menschen, denen die Bücher einst gehörten, die Sammlungen aufbauten und ihre Spuren hinterließen, bis heute so spannend? Welche Wege haben die Bücher im Laufe der Zeit genommen, bevor sie in der Landesbibliothek ein Zuhause fanden?

Die Berliner Antiquarin Elvira Tasbach im Gespräch mit Dr. Christian Herrmann über spannende Recherchen anhand von Widmungen, Exlibris, Vermerken, Notizen und Botschaften aus dem Leben berühmter Bibliophiler oder einfacher Bürger – Bücher leben!

 

„Bücherleben – Bücher erzählen ihre Geschichte“: Interview mit Kurator Dr. Christian Herrmann 

Im Oktober 2023 sprachen wir mit Dr. Christian Herrmann, Abteilungsleiter der Sondersammlungen der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart und Kurator der diesjährigen Sonderausstellung. 

Herr Dr. Herrmann, hinter Büchern steckt mehr als die vom Verleger vermittelte Geschichte, sie haben oft eine ganz eigene. Was hat Sie zu diesem Projekt motiviert?

Technische Neuerungen führen einerseits zwar häufig zu einer Steigerung von Effizienz und Produktivität. Andererseits hinterlässt die damit einhergehende Funktionalisierung meist eine Lücke. Das gilt auch für die Einführung des Buchdrucks. Die gedruckten Partien sind in allen Exemplaren einer Auflage identisch. Aber doch war es den Menschen, die mit diesen Büchern zu tun hatten, ein Bedürfnis, das jeweils eigene Exemplar aus der Gesamtmenge einer Auflage herauszuheben, z.B. durch Besitzeinträge, Exlibris, Wappen, auch Einbände. Oder spezifische Merkmale eines Exemplars entstanden durch dessen Benutzung (z.B. handschriftliche Glossen, Zeichnungen, Beschädigungen). Solche bewusst oder zufällig entstandenen Spuren von Individualität bilden eine eigene Inhaltsebene. Diese ist von der ursprünglichen Funktion der Informationsvermittlung, wie sie der Verleger im Sinn hatte, zu unterscheiden. Übrigens gilt das auch noch für die Zeit der industriellen Buchproduktion ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Einband als unterscheidendes Merkmal entfiel.
 

Nach welchen Kriterien haben Sie sich dem Thema genähert? 

Es ging mir darum, anhand konkreter Bände aus unseren Sammlungen eine Typologie unterschiedlicher Zusammenhänge zu entwickeln, in denen Bücher als Einzelstücke zu erzählen beginnen. Dabei war z.B. zwischen der geplanten, jeweils ähnlichen Gestaltung von Bänden größerer Teilsammlungen einerseits und eher situationsbedingt entstandenen Merkmalen andererseits zu unterscheiden. Oder zwischen individuellen und institutionellen Vorbesitzern. Eher private, bilaterale Beziehungen, wie sie sich in Büchern widerspiegeln, sind etwas anderes als Vorgänge, denen eine größere öffentliche Aufmerksamkeit zuteilwurde. Auch die Intensität der Nutzung – etwa wenn Bücher zu Lebensbegleitern wurden oder sich mehrere Generationen in ihnen verewigten – war ein Kriterium.
 

Bibliotheken berühmter Sammler, Bücher, die Konflikte auslösen oder Kulturen verbinden, individuelle Gestaltung auf Wunsch des Besitzers und die vielen Spuren der Zeit; die Arbeit an diesem Thema ist so vielschichtig. Welche Buchbiografien haben Sie besonders berührt?

Unter den Beispielen, die in dieser Sonderausstellung zu sehen sind, hat mich die armenische Bibel von 1894 besonders berührt. Die Einträge zu Familienereignissen betreffen mehrere Generationen. Eine zeitliche Lücke betrifft die Zeit des Genozids an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs, den ein Teil der Familie überlebte.

Dann hat mich, der ich selber ein ganz schlechter Koch bin, das Kochbuch von 1908 angesprochen. Ich bewundere es, wie hier auch über einen langen Zeitraum hinweg aus der praktischen Erfahrung heraus Ergänzungen hineingeschrieben oder eingeklebt wurden.

 

Sie sind in die Leben berühmter Bibliophiler eingetaucht, haben Widmungsexemplare, Exlibris, Notizen, Botschaften und Lebensläufe erforscht. Was haben Sie über die Menschen hinter den Büchern erfahren?

Sofern es um Bücher aus größeren Sammlungen geht, liegt immer auch ein bestimmtes Bildungsverständnis vor. Die „Bibliothek vaterländischer Autoren“ Herzog Karl Eugens diente auch der Selbstvergewisserung und Veranschaulichung seiner Begabtenförderung mit dem Ziel, eine für das Gemeinwesen nützliche Bildungselite zu schaffen. Hugo Borst wiederum dokumentierte mit seinen Erstausgaben, wie Geistes- und Buchgeschichte durch den Wandel der Zeiten hindurch miteinander verzahnt sind.

Dagegen konnte mit Widmungsexemplaren eine zunächst rein individuell-bilaterale Beziehung zwischen Geistesverwandten gepflegt werden.

Wichtig war in diesen drei Beispielen auch der Aspekt der Motivation zum Lesen und Sammeln.

Anders gelagert ist das, wenn es um das Verhältnis von Sein und Schein geht. So sollte das Buchgeschenk an einen Prinz die womöglich sonst beunruhigte Öffentlichkeit über dessen Blindheit hinwegtäuschen. Und ein meisterhafter Einbandfälscher lebte von der Sehnsucht vieler Bibliophiler nach vorzeigbaren Repräsentationsstücken.

 

Provenienzforschung beschäftigt heute die Antiquariate, Sammler und Bibliotheken gleichermaßen. Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus Ihrer Arbeit für die Ausstellung mit? 

Die Provenienzforschung erhielt einen Schub öffentlicher Aufmerksamkeit einschließlich finanzieller Sondermittel erst, als es um politisch besonders brisante Konstellationen und die Rückgabe von Raubgut etwa aus der NS-Zeit ging. Antiquariate und Bibliotheken beschäftigen sich freilich schon länger mit dem Vorbesitz der jeweiligen Bücher. Eine wichtige Erkenntnis aus einer systematischeren Dokumentation der Provenienzgeschichte, als deren Nebenprodukt sich auch Ausstellungen wie diese ergeben, ist jedoch, dass a) Provenienzen nicht primär unter moralischen, sondern historischen Kriterien betrachtet werden sollten, also nicht selektiv, sondern möglichst umfassend, wertneutral beobachtend; b) man dabei nicht nur nach dem Buchbesitz bekannter Persönlichkeiten (trotz deren hohen antiquarischen Marktwerts) recherchieren sollte, sondern gerade in den Zufalls- und Alltagsspuren der Buchrezeption gewöhnlicher Menschen eine große Aussagekraft im Hinblick auf Authentizität und Originalität liegen kann.

Verband Deutscher Antiquare e.V.

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